Bereits im April diesen Jahren haben wir der antifaschistischen Zeitschrift Lotta ein Interview gegeben, welches in Ausgabe #74 veröffentlicht wurde. Nachzulesen ist das Interview auch auf der Homepage der Zeitung, deren regelmäßige Lektüe wie Abonnement wir ausdrücklich empfehlen!
„Klassische Methoden der Antifa-Arbeit“
Der Kampagnenname „Stadt, Land, Volk“ ist ja etwas ungewöhnlich, was streckt dahinter?
Der Name kann als Beschreibung unseres Untersuchungsfeldes gesehen werden. Es ist primär nicht relevant, ob jemand in der Stadt oder auf dem Land wohnt. Sowohl im ländlichen als auch im urbanen Raum können wir Akteure ausmachen, deren Vorgehen sie in unseren Fokus rücken lässt. Wir thematisieren die Vernetzung und Überschneidung verschiedener extrem rechter Strukturen in Hessen, die durch ihren Netzwerkcharakter geprägt sind. Mit der Kampagne wollen wir gebündelt Aufmerksamkeit auf das Thema und unsere Analyse lenken.
Was waren bisher eure wichtigsten Projekte?
Im Nachgang des Landeskongresses der Jungen Alternative (JA) 2017 in Marburg wurde uns eine Reihe an Fotos zugespielt, die deutlich zeigen, wie vermummte Nazis — Burschen, JA’ler, EinProzent-Mitglieder und klassische Neonazis gemeinsam — Fotojournalist*innen auf offener Straße attackierten. (vgl. Lotta #67 S. 26) Dies zeigt exemplarisch die Treffgenauigkeit unserer Analyse: Faschisten aller Couleur schließen sich zusammen, um gegen als Feinde wahrgenommene Personen vorzugehen.
In einem ausführlichen Dossier haben wir die weitergehenden faschistischen Tätigkeiten etlicher Burschen der Germania Marburg, der Rheinfranken Marburg und der Normannia Leipzig zu Marburg aufzeigen können. Beispielsweise bei Heinrich Mahling, dessen Wechsel zur Germania Marburg und führende Rolle bei den „Identitären“ in Hessen dargestellt wurde.
Im Vorfeld der Bundes- bzw. Landtagswahl haben wir etliche Bundes- bzw. Landtagswahlkandidaten der AfD in einer Broschüre kritisch vorgestellt. Von den Broschüren wurden jeweils mehrere tausend Exemplare gedruckt und öffentlich ausgelegt, so dass sie großflächig in Hessen verteilt werden konnten.
Welche Reaktionen gab es auf eure Arbeit?
Wir vermuten, dass es einige Anzeigen aufgebrachter Rechter, die durch unsere Arbeit ihre Persönlichkeitsrechte verletzt sahen, gab. Ansonsten waren die Reaktionen aber durchweg positiv: Wir haben es geschafft, die Antifa-Arbeit in der Region kontinuierlich fortzusetzen und zu verbessern und konnten durch unsere Berichterstattung Aufmerksamkeit auf rechte Strukturen lenken. Unsere Kampagne erreichte bundesweite Bekanntheit, und von Journalist*innen, Zeitungen und linken Projekten wurde auf uns Bezug genommen.
Ihr legt euren Fokus immer wieder auf extrem rechte Burschenschaften. Welche Rolle spielen diese in rechten Netzwerken in Hessen und darüber hinaus?
Extrem rechte Burschenschaften sind als Rückgrat der „Neuen Rechten“ zu sehen. Sie sind nicht nur Mitorganisatoren des Rechtsrucks, sondern treiben ihn aktiv voran. Sie fungieren als Bindeglied zwischen verschiedenen extrem rechten Organisationen, bieten personelle Kontinuitäten und stellen für sie wichtige Infrastruktur. Burschenschaften haben die Räume, das Geld und die entsprechende Sozialisation, inklusive passendem reaktionären Männlichkeitsbild.
Ihr stützt euch in der Arbeit gegen die sogenannte „Neue Rechte“ vor allem auf ausführliche Recherchen, Hintergrund-infos und auch Outings. Wieso habt ihr euch für diese Form entschieden?
Klassische Methoden der Antifa-Arbeit erscheinen uns nach wie vor am sinn- und wirkungsvollsten — natürlich nicht, ohne diese in der jeweiligen Situation konkret zu hinterfragen. Wir schauen uns nicht nur an, was die einzelnen rechten Organisationen machen, sondern nehmen die einzelnen Personen unter die Lupe. Dadurch, dass wir die einzelnen Akteure aus der Deckung holen, erhalten wir mehr Erkenntnisse und versprechen uns wesentlich mehr Wirkung.
Im Oktober 2018 waren Landtagswahlen in Hessen. Wie habt ihr den Wahlkampf (insbesondere der AfD) wahrgenommen? Wie sah eure Arbeit dazu aus?
Es gab tausende Broschüren zu etlichen AfD-Kandidaten mit Adresse und kurzem Lebenslauf, die hessenweit verteilt wurden. Das sorgte für jede Menge Furore und hatte mehrere Zeitungsartikel zur Folge. Die AfD spricht hier von „gefälschten Lebensläufen“, dem können wir entschieden widersprechen. Unter anderem unsere Arbeit hat dazu geführt, dass die AfD zum Beispiel in Marburg keine Räume für Veranstaltungen bekam und auch keine Wahlkampfstände aufgebaut wurden. Das zeigt, wie wirkungsvoll Antifa-Arbeit Nazis den Raum nehmen kann.
Welchen Einfluss wird der Einzug der AfD ins Parlament auf rechte Strukturen in Hessen eurer Meinung nach haben?
Die AfD wird einerseits Posten und Geld erhalten, andererseits durch Gremienarbeit die Arbeit linker, antifaschistischer und feministischer Projekte behindern können. Außerdem wird ihre Stimme hörbarer und parlamentarisch legitimiert, obwohl sich personell nichts verändert hat und es immer noch die gleichen Faschist*innen und Nazis sind, die jetzt aber im Parlament sitzen.
Nach dem Einzug in den hessischen Landtag sitzt die AfD in allen Landesparlamenten, in Sachsen zeichnet sich demnächst sogar eine mögliche Regierungsbeteiligung ab. Wie kann antifaschistische Arbeit gegen eine Rechte mit starkem parlamentarischen Arm aussehen?
Recherchezusammenhänge wie wir benötigen die Hilfe von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die unsere und andere Rechercheergebnisse in die Parlamente und Gremien einbringen und thematisieren. Es sollten nicht nur eine handvoll Antifas wissen, wer die rechten Akteure sind, sie sollten auch an ihrem Arbeitsplatz und in ihrem Privatleben damit konfrontiert werden. Unser Mittel des antifaschistischen Kampfes ist die Recherche, wenn Antifaschist*innen aus unserer Arbeit anderweitige Konsequenzen ziehen, begrüßen wir das aber ausdrücklich!
Wie können euch Menschen unterstützen?
Wir freuen uns am meisten, wenn Menschen unsere Rechercheergebnisse lesen und nutzen, um Nazis überall und mit allen Mitteln das Leben schwer zu machen. Darüber hinaus hilft es sehr, wenn uns Infos über Rechte zugespielt werden, da wir natürlich auch nicht alles wissen können.
Welche Pläne habt ihr für die Zukunft?
Wir werden weitermachen wie bisher und die üblichen Akteure weiter genau im Blick behalten. Außerdem wollen wir, wenn möglich, unseren Beobachtungsradius erweitern.
Wollt ihr noch irgendwas loswerden?
Wir bedanken uns bei allen, die uns bisher Informationen gegeben haben, ohne eure Hilfe wäre diese Kampagne nur halb so gut. Natürlich danken wir auch der Lotta für das Interview. Grüße und Dank gehen raus an alle Genoss*innen, die Nazis bekämpfen, diesen den Raum nehmen, auf die Pelle rücken, sie aus der Anonymität holen und die sich nicht unterkriegen lassen. Bleibt stabil!
Vielen Dank für das Interview!