Der folgende Text ist ein Produkt einer Recherche, bei der wir uns reaktionäre Personen, Veranstaltungen und Organisationen, die im Bezug zum Marburger Stadtteil Richtsberg stehen, angesehen haben. Hierbei können wir jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit leisten.
AfD
Schon häufiger wurde darauf hingewiesen, dass die AfD bei der Bundestagswahl 2017 im Landkreis Marburg Biedenkopf vor allem im Umland viele Wähler_innenstimmen erhielt. Die Ergebnisse für die AfD in der Kernstadt fielen im Vergleich auffallend niedrig aus. Deutlich aus diesem Muster fällt der Marburger Richtsberg, dort holte die AfD 18,5 % der Erststimmen.
Der Richtsberg in Marburg unterscheidet sich von der Marburger Kernstadt schon rein optisch. Während in der Kernstadt, mit Südstadt und den angrenzenden Dörfen, alles irgendwie schick und lieblich wirkt, wird der Richtsberg meist als das genaue Gegenteil geschildert. Dieses Viertel wurde in den 60er Jahren bebaut, um Wohnungsnot in der Stadt entgegen zu wirken. Der Stadtteil ist geprägt von Hochhäusern, was ihm häufig den Ruf als Marburger Ghetto einbringt. Am Richtsberg leben außerdem überdurchschnittlich viele Personen, die sozial benachteiligt werden, jedoch stimmen Realität und Ruf nicht zwangsläufig überein.
Dennoch ist es auffallend, dass genau in dem Stadtviertel, welches sich von dem restlichen Marburg abhebt, eine so hohe Anzahl an AfD-Stimmen abgegeben worden sind.
Der Sozialwissenschaftler Andreas Kemper sieht in Westdeutschland eine Korrelation zwischen der lokalen Arbeitslosenquote und dem darauf folgenden Abschneiden der AfD bei Wahlen, abweichend seien hier nur einzelne Bundesländer. Die Abweichung findet hier laut Kemper jedoch nur in eine Richtung statt: Einem noch besseren Abschneiden der AfD. Deshalb geht Kemper davon aus, dass bundesweit ein Zusammenhang zwischen Arbeitslosenquote und AfD-Wähler*innen besteht, dessen Gründe noch untersucht werden müssen. Dieser Zusammenhang bedeutet keinenfalls, dass alle und ausschließlich Arbeitslose die AfD wählen.
Einer der mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die AfD gewählt hat, ist der AfD-Begeisterte Tobias Andre Schweer.
Er war nach seiner Pilotenausbildung in den USA bei der Luftwaffe in Alt Duvenstedt stationiert. Danach kam er nach Marburg, ging zum Studienkolleg in Marburg und begann sein Lehramtsstudium in Gießen. Zur Zeit ist er außerschulischer Mitarbeiter an der Richtsberg Gesamtschule Marburg.
Neben unzähligen AfD-Seiten gefallen ihm auf Facebook auch Seiten der Burschenschaften Rheinfranken und Germania. Ebenso scheint er für die IB eine Schwäche zu haben, was sein Interesse an etlichen IB Gruppen vermuten lässt. Likes ließ er außerdem bei Seiten von Pegida, der extrem rechten Postille Zuerst, dem IB-Rapper und Marburger Germanen, Patrick Bass alias „Komplott“, und der neuen Zeitschrift Arcadi, welche als Leserschaft Personen rund um die JA und die IB erreicht.
Laut Eigenaussage hält er manchmal auch Personen, die eine Kleinigkeit in einem Supermarkt klauen, bis zum Eintreffen der Polizei gegen ihren Willen fest.
Wie in vielen Städten kam es Anfang 2016 auch in Marburg zu einer Kundgebung sogenannter „besorgter Bürger“. Der Auslöser hierfür war das Verschwinden einer 13-jährigen Russlanddeutschen in Berlin. Der russische Staatssender Pervij Kanal berichtete, dass sie von einem „Migranten-Mob“ vergewaltigt worden sei, was sich als erfunden heraustellte.
Am 24.Januar 2016 gingen in Marburg etwa 150 Personen, überwiegend aus der russlanddeutschen Community, auf die Straße. Unter dem Motto „Schüzt unsere Kinder“ versammelten sie sich am Elisabeth Blochmann Platz, von wo es aus ihren Reihen immer wieder zu verbalen und physischen Übergiffen auf Gegendemonstrant_innen kam. Ein nicht geringer Teil der russlanddeutschen Community in Marburg wohnt am Richtsberg, was auch für weite Teile der Kundgebungsteilnehmer_innen zutraf wie bei der An- und Abreise auffiehl.
In der Nacht vor der Kundgebung gegen 23 Uhr fand in der Marburger Universitätsstraße ein rassistischer Übergiff statt, bei welchem ein aufblitzender Gegenstand, vermutlich ein Messer, im Spiel war. Monate später folgte ein Prozess gegen einen zur Tatzeit 71 jährigen Teilnehmer der Kundgebung am 24.01.2016. Die geschädigte Person will diesen in dem Video der Kundgebung wiedererkannt haben, am Ende wurde der Verdächtigte feigesprochen, da Aussage gegen Aussage stand. Im Laufe des Prozesses äußerte der Angeklagte, dass „Geheimdienste“ die antifaschistische Spontandemonstration am 24.Januar2016 organisiert hätten und sprach gegen den Geschädigten Drohungen aus wie zum Beispiel: „Ich brauche keine Waffen, ich kann mich auch so wehren, zehn Sekunden und dann liegst du auf dem Boden!“ (siehe OP: „Für mich ist das alles zu hundert Prozent politisch motiviert“)
Die AfD hat sich bundesweit sehr um die Stimmen der russlanddeutschen Community bemüht. So wurde in Magdeburg im August 2017 ein Russland-Kongress der AfD-Fraktion in Sachsen-Anhalt veranstaltet. Auch in Marburg, aber speziell am Richtsberg, ist die Mobilisierungsfähigkeit der zur „Neuen“ Rechten hingewandten russlanddeutschen Community nicht zu unterschätzen.
DIE Rechte Hessen
Auch ein Protagonist der erneut wiedergegründeten Partei „DIE Rechte Hessen“ wohnte bis vor kurzem in der Berlinerstraße 11 am Marburger Richtsberg. Christian Göppner wurde ende August 2017 zum Landesvorsitzenden der Neonazipartei gewählt.
Anfang Winter 2017 kündigte „DIE Rechte Hessen“ an, mehr mit der Kameradschaft „Freier Widerstand Hessen“, einer parteiunabhänigen Neonaziorganistation, zusammen zu arbeiten. Ebenfalls wurde für Dezember 2017, vom „Freien Widerstand Hessen“, eine Landesveranstaltung angekündigt, bei der Christian Göppner sprechen sollte. Im Hinblick auf die hessischen Landtagswahlen spekuliert „DIE Rechte Hessen“ wohl auf eine Teilnahme. Christian Göppner wurde bereits kurz vor der Auflösung zum Landesvorsitzenden der Partei gewählt. Er ist ein überregional vernetzter Kader, so war er im Oktober 2016 auf einer Neonazi Demonstration in Dortmund anwesend. Es ist also kein Wunder, dass auch nach der Neugründung der Partei „DIE Rechte“ in Hessen Christian Göppner eine zentrale Rolle einnimmt.
Dar Al Salem Moschee
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 2017 um 5:45h wurde auf die Dar Al Salem Moschee ein Brandanschlag verübt. An diesem Datum vor 79 Jahren fand die sogenannte „Reichsprogromnacht“ statt. Die Uhrzeit – gleicht dem Start des Deutschen Überfalls auf Polen und damit dem Beginn des Zweiten Weltkrieg. Das Datum und die Uhrzeit legen einen rassistischen bzw. extrem Rechten Hintergrund sehr nahe. Das Potenzial für einen solchen Anschlag ist sowohl im Stadtteil Richtsberg als auch, wie in anderen Blogbeiträgen mehrfach erläutert, allgemein in der Stadt Marburg vorhanden. Immer wieder kommt es zu Übergriffen durch Nazis und andere Rassist_innen auf die es alle eine klare antifaschistische Antwort zu formulieren gilt.
Da wir in diesem Text reaktionäre Kräfte auf dem Richtsberg darstellen wollen, dürfen allerdings auch manche Anhänger dieser Moschee hier nicht fehlen.
Bei einem Blick auf die Facebookseite der Dar Al Salem Moschee fallen immer wieder Postings wie folgende auf:
In beiden Postings erläutert die Marburger Dar Al Salam Moschee, warum es ihrer Meinung nach nicht legitim sei, den Islam zu erneuern. Darin drückt sich eine antimoderne Haltung aus, auch wenn ein religiöses Fest sicherlich nicht der Gradmesser der Moderne ist. Allerdings haben sich Werte wie z.B. die Freiheit des Individuums, seitdem sich der Islam konstituierte, kontinuierlich verändert. Dieser Wertewandel wird durch eine solche sich gegen „Erneuerungen“ richtende Auffassung ausgeschlossen.
Salafist_innen sind der Auffassung, dass nur die Gefährten Mohammeds den „ursprünglichen“ und „reinen“ Islam gelebt hätten. Alle Änderungen, die seit dieser Zeit in der Religionsausübung durchgeführt wurden, seien „unerlaubte Neuerungen“.
Auch Rechte von Frauen, die dem Patriarchat in vielen Kämpfen abgerungen wurden, um ein etwas besseres Leben als vorher zu ermöglichen, stehen im Widerspruch zur Vorstellung, dass die Einrichtung der Gesellschaft zu Mohammedszeiten nicht verändert werden darf. Eine klare Geschlechtertrennung ist auch in der Dar Al Salem Moschee in Marburg auf der Tagesordnung. Auch werden auf Facebookfotos ausschließlich Männer abgebildet wärend das Frauenabteil nur leer fotografiert und hochgeladen wurde.
Auch im Posting der Dar Al Salem Moschee vom 29. November 2017 wird sich auf die Gefährten Mohammeds (Sahabi), „Abu Baker, Umar, Uthman, Ali …“ bezogen, die die „Liebe des Propheten [angeblich] am vollständigsten umgesetzt hatten“. Dies bietet sehr gute Anknüpfungsmöglichkeiten für salafistische Positionen.
Weitere Artikel zu Dar Al Salem Moschee in Marburg finden sich auf dem Blog VORWÄRTS UND NICHT VERGESSEN.
Auch einzelne Fans der Dar Al Salem Moschee in Marburg sympatisieren in sozialen Medien offen mit Islamisten: Zum Beispiel Fares Alabdullah. Er veröffentlicht Postings wie:
„Wir kommen von Allah und gehen zu Allah“. Dabei handelt es sich um einen Totenspruch, bei dem allerdings die gewählte alte Schriftart auffällt, die gern von Fundamentalisten verwendet wird. Aber auch Alabdullahs Abonnentenliste lässt tief Blicken. So folgt er etwa dem Sympatisant der Muslimbrüder und Al-Jezeera-Journalisten Ahmed Mansour, der 2015 in Berlin aufgrund eines internationalen Haftbefehls festgenommen wurde. Daneben lohnt sich auch ein Blick auf von ihm gelikte und kommentierte Fotos, die mindestens ein islamisch-konservativ-misogynes Weltbild belegen.
„Wie man eine Frau in Kenia bestraft: Sie werden in eine Box gesteckt, Kopf heraus und bleiben für Stunden in der Sonne“
Dieses Bild zeigt exemplarisch Alabdullahs Frauenverachtung, die die brutalen Qualen einer Frau, die in der Wüstenhitze in der Sonne vegetieren muss, für ihn lustig erscheinen lässt.
Nicht nur der von ihm gepostete Totenspruch fällt aufgrund der gewählten Schriftart als fundamental auf, auch der von ihm gelikte Beitrag „O Herr des Wali Ibn Al – Fali, Herr, beschütze dich, o Mazah, und nimm deinen Vater an, o Gott, rette Sheikh Mahsini und seine Brüder“ ist ein salafistischer Spruch, auch wenn hier der Kontext des Bildes nicht ganz klar wird.
Neben Frauenverachtung, Bezugname auf fundamentale/salafistische Kontexte und Vorlieben für Sympatiasanten der Muslimbruderschaft lässt sich Alabdullah auch antisemitisches verschwörungstheoetisches Denken finden.
In diesem Post wird Sadam Hussein mit Assad verglichen. Sadam Hussein sei verhaftet und schließlich exekutiert worden, weil die USA das wollten, obwohl er auch Krankenhäuser, Universitäten und ähnliches gebaut hat. Assad werde trozt Mord und Folter nicht verhaftet, weil er der USA und Israel angeblich gute Dienste tut, weswegen sie ihn nicht absetzen würden.
Dieses Bild zeugt von einem antisemitischen Verschwörungswahn, wonach Israel und die USA nach ihren Interessen angeblich die Welt im Geheimen regieren und nach ihrem Belieben jederzeit und überall Staatschefs ins Amt beziehungsweise absetzen können.
„An Liberalismus gehen die Völker zugrunde, nicht am Islam.“ (Martin Lichtmesz)
Das Thema bleibt kompliziert, weite Teile der extremen Rechten greifen speziell den Islam als Religion an, die nicht nach Europa gehöre, wobei ihre Kritik an dieser Stelle endet und nicht darauf abziehlt Strukturen zu kritisieren, die die Herrschaft von Menschen über Menschen manifestieren. Islamistische Schergen in anderen Teilen der Welt sind für sie keine politischen Gegner, sondern teilweise Bündispartner. So reisten z.B. Vertreter der AfD anfang März diesen Jahres nach Syrien, um sich mit Vertretern des Assad-Regiems zu treffen und um Umstände auszuloten, wie Geflüchtete aus Deutschland zurück nach Syrien gebracht werden könnten. Oder wie Dubravko Madic im März 2018 auf Facebook verlauten ließ: „Ich unterhalte mich auch lieber mit Moslems als verschwulten Deutschen. (…) Das konservative und gerechte Potential des Islam sollten wir als AfD nicht außer Acht lassen. Der Islam ist eine sehr männliche Ideologie und gerade angesichts des wuchernden Feminismus, Gender- und Pädowahns sollten Schnitpunkte gesucht werden.“
Als weiteres Beispiel für diese Vernetzung von Islamisten und Nazis kann die Reise vom III. Weg nach Syrien gelten, über die der III. Weg folgendes berichtet: „Wir als volksbewusste Europäer sollten mit Syrien gerade deshalb solidarisch sein, da hier gelebt wird, wovon bei uns oftmals nur gesprochen wird. Man kämpft gegen den Einzug des Kapitalismus und Zionismus (…). Somit sehen wir hier in Syrien Menschen, die uns weltanschaulich näher stehen, als man häufig denkt.“ (siehe: „Der III. Weg“ international in AIB 118/1.2018).
Auch historisch wurden immer wieder Bündnisse europäischer Faschisten mit Vertretern des politischen Islam angestrebt. So wurde Mussolini in der italienischen Propaganda zum „Beschützer des Islam“ erklärt, oder auch die Nazis, gewährten Husseini, dem Mufti von Jerusalem, Unterschluppf in Berlin. Dieser fiel zuvor auch schon im damals Britischen Mandatsgebiet Palestina, heute Israel, als führender antisemitischer Hetzer auf. So hielt er am 2. November 1943 von Berlin aus eine Radioansprache an die Arabische Welt: „Es ist die Pflicht der Mohammedaner im Allgemeinen und insbesondere der Araber, alle Juden von arabischen Land zu vertreiben. Auch Deutschland kämpft gegen den gemeinsamen Freind (…). Es hat die Juden sehr klar als das erkannt, was sie sind und beschlossen, eine Endlösung für die jüdische Gefahr zu finden, die die Geißel der Welt, die die Juden sind, beseitigen wird.“
Sayyid Qutb, einer der wichtigsten Theoretiker der Muslimbruderschaft, schrieb 1950 ein Pamphlet mit dem Titel „Unser Kampf mit den Juden“, welches u.a. folgende Passage enthält: „Wie Recht hatte Allah, der Allerhöchste, als er sagte: >>Ihr werdet mit Gewissheit feststellen, dass die schlimmsten Feinde der Muslime die Juden und die Polytheisten sind.<< (…) Hinter der Doktrin des atheistischen Materialismus steckte ein Jude; hinter der Doktrin der animalistischen Sexualität steckte ein Jude und hinter der Zerstörung der Familie und erschütterung der geheiligten Beziehungen in der Gesellschaft steckte ebenfalls ein Jude.“
Eine Bedrohung muslimischer Individuen durch rassistische Übergriffe darf nicht verharmlost werden! Gleichzeitig sollte dies nicht dazu führen, vorhandene reaktionäre, frauenfeindliche und antisemitische Einstellungen einer Kritik zu entziehen. Nach dem Anschlag auf die Dar al Salem Moschee wurde von der Initiative „Runder Tisch der Religionen Marburg“ eine Mahnwache veranstaltet. Anwesend war unter anderem Hamdi Elfarra, Vorsitzender der Islamischen Gemeinde Marburg. Hamdi Elfarra lässt dort versöhnliche Töne verlauten. Auf seinem Facebookprofil ist von diesen freundlichen Aussagen jedoch eher wenig zu finden. Stattdessen wünscht er Juden und ihrem Gott den Tod und träumt gleichzeitig von einem palestinensischen Staat über das ganze israelische Staatsgebiet. Dies und die salafistische Ausrichtung der Dar al Salam Mosche zu ignorieren, öffnet der Reaktion Tür und Tor.
AfD-Wähler, Neonazis, eine Moschee mit salafistischer Ausrichtung: Am Richtsberg machen sich Ideologien breit für die das Individuum offensichtlich nichts zählt.
Für das Paradies auf Erden!
Gegen Rassismus, Islamismus, Antisemitismus und alles, was uns sonst davon trennt!